Ein Gesetz, das zur Beschleunigung des Wachstums dienen soll? Merkwürdig: Was ist denn eigentlich dieses “Wachstum”?
Nur ein paar kurze Gedanken von einem Informatiker zu diesem Thema: Wirtschaftswachstum bedeutet ein Steigen des Bruttoinlandsprodukts. Also der Wert aller Produkte und Dienstleistungen in einem Land innerhalb eines Jahres. Schaut man sich die Werte seit 1950, so ist ein stetiges Wachstum festzustellen.
Nahezu gleichzeitig stieg die Zahl der Arbeitslosen seit 1960 stetig an. Und der Langzeittrend scheint weiterhin nach oben zu zeigen. Ich bin ja nun Informatiker und kein Betriebswirt. Dennoch scheint mir doch ein Zusammenhang zwischen steigendem Wirtschaftswachstum und steigender Arbeitslosigkeit zu sein.
Offensichtlich sorgen hohe Wachstumsraten nicht zwingend für Beschäftigung. Wie auch: Wachstum erzeugt man durch höhere Produktivität in Branchen, in denen oft klassisch viele Menschen arbeiten. Die Angestellten sind der hohe Kostenfaktor, besonders in Branchen der Industrie, die viele Menschen beschäftigen. Will man also höhere Produktivität, wird man nicht neue Menschen einstellen sondern eher dafür sorgen, dass man die Produktivität durch Automatisierung steigert.
Das erklärt dann auch, warum viele Unternehmen trotz Gewinnen tausende von Menschen entlassen: Aus wirtschaftlicher Sicht brauchen sie diese nicht, denn durch optimierte Prozesse und bessere Technik werden weniger Menschen für einen Produktivitätszuwachs und dadurch letztlich für Wachstum benötigt.
Und nun sollen wir also ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz bekommen: Im großen und ganzen sollen Unternehmen und Bürger durch Steuerentlastungen für ein höheres Wachstum sorgen. Für die Bürger bedeutet das, dass mehr konsumiert werden kann, was wieder in höhren Einnahmen für Unternehmen resultiert. Für diese werden neben den Steuerersparnissen also auf einmal Gelder frei, die sie zur Produktivitätssteigerung verwenden können. Somit könnten z.B. Werke modernisiert oder neu gebaut werden, um kosteneffizienter Produkte herzustellen. Höhere Effizienz und Produktivität bei weniger Angestellten. Sprich: Es liegt also nahe, dass ein solches Gesetz für ein schönes, kurzfristiges Wachstum sorgt auf Kosten von mehr Arbeitslosen; zumindest langfristig. Welchen Sinn hat also dieses Gesetz für unsere Gesellschaft, das am Ende auch keine Antwort auf langfristige Trends ist? Klingt für mich nach Augenwischerei.
Komisch. Brauchen wir vielleicht andere Konzepte um einer Wirtschaft und Gesellschaft gerecht zu werden, in der es immer weniger bezahlte Arbeitsstellen gibt? Denn durch unserern Fortschritt und unser Wissen haben wir es ja erst soweit gebracht, dass wir jetzt eben nicht mehr alle arbeiten können. Denn war es nicht ein Ziel, durch bessere Technik dafür zu sorgen, dass sich Menschen nicht mehr durch körperliche Arbeit plagen müssen? Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, umzudenken und auf Basis dessen, was wir erreicht haben und mit all den Erfolgen der letzten Jahrzehnte im Gepäck für Beschäftigung zu sorgen. Kreative Potentiale gibt es genug, Arbeit auch. Nur sorgt sie nicht immer für ein Einkommen. Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen eine realistische Möglichkeit sein, den immer mehr wegbröckelnden Arbeitsplätzen im produzierenden und verarbeitenen Gewerbe entgegenzusteuern und auf der anderen Seite kreative und soziale, künstlerische und ehrenamtliche Tätigkeiten, die alle wichtig sind, aufzuwerten? Denn wie gesagt: Arbeit gibt es genug. nur nicht jede wird bezahlt.
Ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz klingt da nach “wir halten an alten Strukturen fest, komme, was wolle”. Arbeit wird es nicht schaffen, Wachstum wohl. Sozusagen ein Schmerzmittel statt Langzeittherapie.
Vielleicht wird es langsam wirklich Zeit für einen großen “Reformwurf” auf der Grundlage dessen, was wir haben: Einen wohlhabenen Staat, hervorragende Bildung und eine soziale Gesellschaft. Ideen zu Konzepten über das bedingungslose Grundeinkommen, einer großen Steuerreform auf Basis einer Konsumsteuer und mehr politischer Partizipation könnten vielleicht eine Antwort sein. Das erfordert allerdings Mut zu mehr Demokratie, offenem Denken und “Freigeist”.Sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft.
Wie gesagt: Ich bin Informatiker. Vielleicht hat ein Wirtschaftler eine andere Sicht auf die Dinge?