Ich habe mir für dieses Jahr eine ganz persönliche Challenge vorgenommen. Und je mehr ich mich mit dieser beschäftige, um so mehr Beispiele finde ich in meinem Umfeld und ich habe die leise Ahnung, dass ich hier einem menschlichen Thema auf der Spur bin und nicht nur ich komisch bin. Es geht um binäres Denken. Um An/Aus-Denken, ganz-oder-gar-nicht Denken. Um all die schwarz-weißen Betrachtungen, die wir jeden Tag in unserm Kopf haben und die uns hindern, Erkenntnisse zu gewinnen.
Mein Eindruck ist, dass wir Menschen viel zu oft in ganz simplen Kategorien wie “An” und “Aus” denken und unser Handeln danach ausrichten. Dieses aufzudecken, bewusst zu vermeiden oder aufzubrechen, um daraus Chancen zu entdecken: das ist meine Challenge. Was meine ich damit? Mein Eindruck ist folgender: Jeden Tag stehen wir vor Herausforderungen. Vor Ideen mit Unsicherheiten, verschiedensten Überzeugungen und somit unterschiedlichen Arten der Herangehensweise. Meist suchen wir intuitiv nach der 100%-Lösung bei der Suche nach einer Antwort. Wir stellen uns auf einer Skala der gedanklichen Möglichkeiten immer nur auf eine Seite, schließen die andere kategorisch aus und entdecken nicht die vielen Möglichkeiten, die zwischen den Extrempunkten liegen. Manchmal sehen wir sogar nur eine Seite der Skala und die andere ist im Nebel verschwunden. Wir befinden uns, wenn wir über etwas diskutieren oder nachdenken somit in einer absoluten Betrachtung und es fällt uns schwer, uns eine Welt auf der Linie zwischen zwei Möglichkeiten vorzustellen. Daraus resultiert, dass wir uns nicht bewegen (wollen) und stattdessen lieber folgendes machen: nichts.
Da spielt natürlich ganz viel rein. Wir sind – zumindest in unserer deutschen (Geschäfts-)Welt – darauf gepolt, dass Entscheidungen lange Bestand haben sollen, Irrtümer als Fehler oder schlimmer noch als persönliche Niederlagen angesehen werden und wir uns so nicht zutrauen, Sachen aktiv auszuprobieren oder schlicht einfach zu mal versuchen, Dinge anders zu denken – eben mitten auf einer Skala der Möglichkeiten. Vermutlich macht uns unsere Sozialisierung einen mächtigen Strich durch die Rechnung. Wir lernen es schlicht in der Schule schon anders: Dort lernen wir jeden Tag, dass wir die besten Noten bekommen, wenn wir uns konform auf der einen Seite der Möglichkeiten bewegen. Für Abweichungen ist wenig Platz.
Tja- und jetzt sind wir in einer agilen Welt, die von uns verlangt, genau das wieder mühsam abzutrainieren und auf Veränderungen zu reagieren. Oft.
Für mich sind viele Entscheidungen – insbesondere in einer agilen Welt – nicht orientiert an der Frage: “Was ist die beste Lösung?”. Eigentlich sogar nie. Woher sollen wir es auch wissen? Wir waren ja nie da und haben nur die Bilder, die wir kennen, um uns etwas vorzustellen. Es geht viel eher darum: “Was macht es besser?” Oder vielleicht etwas negativer: “Welche Schmerzen kann ich besser aushalten?” Stellt man sich diese Fragen, eröffnet sich gedanklich ein ganzer Korridor von Möglichkeiten und Ideen, wenn man vor Fragen mit teils hoher Unsicherheit steht. Auch fällt es dann leichter, Änderungen in Schritte zu unterteilen und als iterativen Prozess zu sehen. Denn wenn man nun noch sagt: “Hey, ich entscheide mich jetzt für eine Richtung auf Basis dessen, was ich jetzt weiß und welchen Schmerz ich lindern will”, kommt damit einher, dass wir mit neuen Erkenntnissen ggf. die Richtung nochmal ändern werden. Wir lernen eben und ändern unser Vorgehen oder Verhalten.
Deshalb sind alle Veränderungen Experimente: Hypothesen, die wir aufstellen, um auf Schmerzen zu reagieren. Es sind Versuche, Dinge zu verändern und nach der Durchführung zu fragen: Hat es Erfolg gebracht? Was haben wir gelernt? Was können wir verändern, um zum Ziel zu kommen? Stimmt das Ziel überhaupt noch? Experimente helfen uns, uns Veränderungen offen zu stellen und Unsicherheit zu begegnen. Wir gehen in Schritten vor und schauen, ob sie uns weitergebracht haben. Sie helfen, Schwarz-Weiß-Denken und somit (gedanklichen) Stillstand aufzulösen.
Was hilft denn nun konkret beim Erkennen von Schwarz-Weiß-Denken in all den kleinen Alltagssituationen? Sprache ist ein Schlüssel. Ein ziemlich gewaltiger sogar. Wenn du über Worte wie immer, nur, nie, alles, aber, nicht, nichts, total, hundertprozentig, grundsätzlich, niemand, alle, keiner oder jeder stolperst, hast du diese absoluten Kategorien schon mit einer hohen Treffergenauigkeit entdeckt. Achte mal darauf – du wirst überrascht sein, wie oft das im Kleinen schon passiert. In solchen Situationen Fragen zu stellen wie “Wirklich jeder?”, “Wirklich nie?”, “Wann ist es anders?”, “Was heißt hundertprozentig?”, “Was passiert, wenn es nicht hundertprozentig ist?” öffnen sich ganz neue Perspektiven und Raum für Experimente. Probiert’s mal aus.
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