Meine Freunde und Bekannten arbeiten in unterschiedlichen Branchen. Bis auf unsere unterschiedlichen Jobs und die Herausforderungen des jeweiligen Arbeitsfeldes dort, waren wir uns trotz aller Unterschiede in unserem Lebenswandel vor Corona doch recht ähnlich. Vollkommen klar, unsere Persönlichkeiten sind total unterschiedlich, jede*r ist individuell richtig spannend, alle Interessen sind faszinierend verschieden, die einen haben Kinder, die anderen nicht, und und und.
Alles in allem hatte jeder bis zur Corona-Krise
- einen geregelten Tagesablauf
- Strategien für die Probleme des Alltags und
- einen Überblick über die Herausforderungen im Leben.
In der Corona-Krise sind wir alle aber unterschiedlich betroffen. Die Art, wie unsere Arbeitgeber mit der Situation umgehen, aber auch vor welchen Herausforderungen wir als Gruppe von Menschen in unserem Leben jenseits des Jobs stehen, ist ganz unterschiedlich. Man könnte fast sagen, wir sind durch die Krise diverser geworden und unsere Alltage ähneln sich dadurch weniger.
Das finde ich spannend und ich habe dazu eine kleine vollkommen nicht repräsentative Umfrage mit fünf zufällig ausgewählten Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis gemacht. Alle befinden sich seit einigen Wochen im Homeoffice. Ich habe sie unter anderem gefragt:
- Bezogen auf dein Verhalten: Was findest du am überraschendsten an der Zeit im Homeoffice?
- Welche Unterschiede in der Kommunikation mit deinem Team / in deiner Organisation stellst du fest?
- Welche Aspekte von Führung fallen dir nun besonders auf (bei dir als Führungskraft oder auch bei deinen Führungskräften)?
- Was ist dein Tipp für eine ausgewogene “Psycho-Hygiene”?
- Was sollte unbedingt beibehalten werden, wenn die reine Homeoffice-Phase vorbei ist?
Darf ich vorstellen: meine “asynchronen Gesprächspartner*innen”
Eva, Customer Success Managerin: Sie und ihr Mann sind seit einigen Wochen komplett im Homeoffice und arbeiten beide in Vollzeit von zu Hause.
Leo, Teamleiter und Prozessdesigner: Er versucht mit seiner Frau und den beiden Kindern einen Alltag zu jonglieren, in dem zwei Menschen voll arbeiten.
Andreas, IT Consultant: Er lebt in Dänemark und ist seit Mitte März im Büro zu Hause.
Anna, Gymnasiallehrerin: Sie lebt zusammen mit ihrem Mann -ebenfalls Lehrer- und versucht, Unterricht ohne physische Anwesenheit zu gewährleisten.
Isabell, Projektmanagerin und Consultant: Sie und ihr Mann sind ebenfalls beide im Homeoffice.
Ich habe aus den Antworten der fünf Protagonisten auf die Fragen diesen Artikel formuliert. Es standen in den Antworten so viele interessante Dinge darin, sodass ich mich auf die für mich spannendsten Aspekte fokussieren musste. Ich bedanke mich sehr bei Leo, Eva, Isabell, Anna und Andreas, dass ihr mir euren Input geliefert habt.
Wie wichtig unsere Gewohnheiten sind
Wir lieben Gewohnheiten: Unser Gehirn braucht die Muster und Wiederholungen, es baut sich daraus Struktur, die es uns ermöglichst, möglichst leicht durch unser Leben zu manövrieren. Wie wichtig und manchmal auch tückisch diese Mechanismen sind, zeigt sich in dieser Krise sehr deutlich. Wir stehen vor neuen Aufgaben und sei es nur die, dass wir einen Job nun “einfach von zu Hause” machen, ohne, dass sich etwas anderes geändert hat. Wie schwierig aber gerade geregelte Abläufe zu etablieren sind, hat Leo gut beschrieben. Er leitet als Prozessdesigner ein Service Team und hat zu Hause seine Familie: seine Frau (auch im Homeoffice) und zwei kleine Kinder. Hier vermischt sich natürlich der Arbeits- mit dem Familienalltag in vielen Belangen. Er sagt:
“Man kann nicht alles kontrollieren, besonders nicht kleine Kinder. In dieser Ausnahmesituation muss man auch mal fünfe gerade sein lassen, Unordnung ignorieren und immer wieder Momente von Verbindung mit dem Partner und den Kindern suchen und wahrnehmen.”
Eva arbeitet als Customer Success Managerin in der Finanzbranche. Sie zeigt auf, wie wichtig auch die kleinen Gewohnheiten sind, die es einfacher machen, den Arbeitsalltag im Homeoffice zu gestalten und vor allem auch eine symbolische Trennung zum Office hinzubekommen:
“Ich muss auch beim Arbeiten zuhause unbedingt Straßenschuhe tragen – wie ich es sonst auch im Büro tue. Sonst fühle ich mich nicht vollständig angezogen.” Das finde ich eine großartige Aussage, zeigt sie doch, wie sehr wir Rituale brauchen.
Auf der Suche nach dem Ersatz für persönlichen Kontakt
Wenn man nicht gerade mit seinem Partner im gleichen Unternehmen arbeitet, wird man zu Hause wohl ziemlich alleine sitzen. Kommunikation mit den Kolleg*innen beschränkt sich somit auf Videokonferenzen und Telefonate. Der schnelle Schnack an der Kaffeemaschine ist dem einsamen Platz am Schreibtisch zum Opfer gefallen. Leo beschreibt, dass die zufällige Begegnung mit Kolleg*innen wegfällt und Kommunikation aktiv angegangen werden muss. Viele meiner “Interviewees” begegnen diesem mit virtuellen Kaffee-Verabredungen per Videokonferenz und schaffen es so, ganz anders informell zu kommunizieren. Und alle, die das tun, wünschen sich, dass diese Möglichkeit auch in Zukunft als Option bestehen bleibt.
Aber nicht jedem fällt der Umstieg auf technische Hilfsmittel zum Ersetzen des persönlichen Kontakts leicht: Spannend finde ich einen Aspekt, den mir ein Freund aus Dänemark schickte. Andreas arbeitet in einer IT-Beratung als Consultant. Er sagt, dass es aus seiner Perspektive insbesondere meist den seniorigen Kolleg*innen schwerfällt, auf persönlichen Kontakt verzichten zu müssen und diesen durch Videokonferenzen zu ersetzen. Das finde ich insbesondere vor dem Hintergrund spannend, dass ich gerade den Eindruck habe, dass sich ausgerechnet diese IT-Beratungen in der Krise als Spezialisten für verteiltes Arbeiten profilieren wollen.
Dass es aber auch in Beratungen deutlich professioneller gehen kann, schreibt Isabell, die ebenfalls in einer IT-Beratung als Consultant und Projektmanagerin arbeitet. Für sie ist die Umstellung auf reines Homeoffice kommunikativ einfach, da verteiltes Arbeiten sowieso schon Teil der Unternehmenskultur vor Corona war. Sie beschreibt, dass ihr Unternehmen schon Struktur und Instrumente etabliert hatte, welche eine effektive Führung und auch das Gefühl von Sicherheit auch in einem verteilten Setup sicherstellt. Der Austausch mit den Kolleg*innen und Führungskräften ist gegeben und wird in Regelterminen oder auf Zuruf gepflegt. “Wir sind in der Zeit noch kreativer bzw. lösungsorientierter und auch noch hilfsbereiter geworden. Das wünsche ich mir auch für die Nach-Home-Office-Phase”, schreibt sie. Das finde ich sehr bemerkenswert. Denn das ist sicher etwas, das quer durch die Gesellschaft zu finden ist: Die menschliche Fähigkeit, sich adaptiv eine Lösung oder zumindest Problemminderung in einer ungewohnten Situation zu erarbeiten.
Welche Stolpersteine Kommunikation und Zusammenarbeit aber haben können, beschreibt Anna, die als Gymnasiallehrerin für Fremdsprachen arbeitet. “Bei Klassengrößen von 28-30 Schülern kann man keine sinnvolle Videokonferenz machen”, schreibt sie. Erste Versuche mit kleineren Gruppen – also aufgeteilten Klassen – waren aber schon vielversprechend. Die Kommunikation mit den Schüler*innen ist effizient nur asynchron per Mail und MS-Teams möglich. Echtzeit-Rückmeldungen der Schüler sind rar. Hier zeigt sich insgesamt ein echtes Problem: Die fehlenden Konzepte für verteiltes Lernen in deutschen Schulen. Technologisch scheint es hier kein Problem zu geben, die Tools und Lizenzen dazu sind da, aber “gerade viele ältere Kollegen brauchen einfach länger bis sie sich in die neuen Online-Plattformen eingearbeitet haben und fühlen sich überfordert, wenn plötzlich online Unterricht von ihnen erwartet wird.”
Ich glaube, das ist gar kein persönliches sondern ein strukturelles Problem dieser Branche. Meine persönliche Hoffnung ist, dass wir als Gesellschaft durch die aktuellen Schmerzen lernen und auch im Bildungssektor nun einen Schritt nach vorne machen, damit sich Unterricht per Internet nicht auf das Verschicken von Arbeitsblättern per Mail beschränkt. Aber wo fängt man da an? Klassengrößen, Medienkompetenz, Mut zu Neuem, technische Ausstattung, innovative und individuelle Lehrpläne, …. Ein großes Thema tut sich hier auf und ist sicher gerade jetzt für alle Lehrer, Eltern und Schüler eine gewaltige Herausforderung.
Transparente, offene und klare Kommunikation ist wichtiger denn je
Was alle meine Umfrageteilnehmer*innen schrieben: Transparenz und Klarheit in der Kommunikation ist im Homeoffice insbesondere in der Krise enorm wichtig. Durch den Wegfall der persönlichen Kontakte und manchmal sogar aufgrund der Verfügbarkeit von rein akustischen Medien fällt das “zwischen den Zeilen lesen”, das “Spüren der Vibes” weg und Kommunikation wird anstrengender. Da hilft es, im Umgang mit Menschen einen stärkeren Blick auf die Sach- statt auf die Beziehungsebene zu legen. Hier liegt auch eine Führungsaufgabe – nämlich genau diese Kompetenz bei Menschen zu fördern.
Klarheit in der Kommunikation erleichtert den Umgang mit der Corona-Krise. Umgekehrt erschwert ihr Fehlen das Schaffen einer psychologischen Sicherheit enorm. Hier sind die Unternehmen gefordert, Transparenz, Klarheit und Wertschätzung zu äußern. Selbst, wenn es keine Klarheit gibt, hilft ein “wir wissen es gerade selbst noch nicht genau, aber wir kümmern uns” deutlich mehr, als gar nichts zu tun.
So beschreibt Eva, wie wichtig es ist, Raum zu haben, “mal Ärgerliches loszuwerden oder auch kleine Tageshighlights zu teilen.” Ihr Unternehmen setzt Impulse für solche Räume sogar durch Coachings, die extra für diese Homeoffice-Zeit etabliert wurden. Eine tolle Initiative, von der man einiges lernen kann. Nutzt man nicht ein externes Coaching, so helfen in jedem Fall regelmäßige Retrospektiven, um gemeinsam im Team zu schauen, wie gut die Zusammenarbeit und auch der Zusammenhalt funktionieren, um dann Maßnahmen zur Verbesserung abzuleiten.
Mit Familie ist es kompliziert
Für Menschen mit Kindern brachte die Schließung der Schulen und Kitas von eben auf jetzt eine besondere zusätzliche Belastung: Zwei Leute mit Jobs plus zwei Kids, die betreut, beschult oder beschäftigt werden wollen – Leo erzählt von der Situation seiner Familie, die exemplarisch für viele andere sein dürfte: “Es wurde noch nicht angesprochen, wie die Erwartung an Haushalte mit 2 Arbeitenden Eltern und Kindern im Kindergartenalter ist. Um irgendwie den Alltag zu meistern, muss man sich selber Strukturen bauen die eine Präsenz zwischen 9-17 Uhr nicht zulässt. Wenn dafür kein Verständnis kommuniziert wird verursacht das enormen Stress, was sich auf alle im Haushalt auswirkt.” Das zahlt auf Schuldgefühle ein und fördert ein schlechtes Gewissen, nicht genug zu tun. Im Resultat führt das dazu, dass Leo weniger abschaltet und auch ggf. nachts noch am Rechner sitzt und arbeitet.
Eine tolle Idee, wie Videokonferenzen auch mit Kids, die eigentlich viel lieber mit Mama oder Papa spielen wollen statt eine konzentrierte Konferenz zu ermöglichen, klappen können, beschreibt Eva und das finde ich wirklich toll: “Und da kam der Igel aus eigenen Kindertagen schon erfolgreich vor der Kamera zum Einsatz um die Kids etwas abzulenken und somit tatsächlich das anberaumte Gespräch führen zu können. Zugegeben – eine Taktik, die nur bei bestimmten Altersgruppen greift.”
Die Psycho-Hygiene betüddeln
Im Moment zu sein und die Situation zu nutzen, sein Bewusstsein im Alltag zu schärfen, ist ein Aspekt, der mir nicht nur in Krisenzeiten wichtig ist. Und so schrieben auch alle meine “asynchronen Gesprächspartner*innen”, dass die Besinnung auf “die Welt da draußen”, Pausen, geregelte Arbeitszeiten, Sonne tanken, spazieren gehen oder der bewusste Austausch mit dem Partner oder der Partnerin wichtig ist.
Schön erläutert dies Isabell und damit möchte ich auch enden: “Ich versuche jeden oder zumindest jeden zweiten Tag spazieren zu gehen. Ich entdecke dabei schöne und neue Strecken in der Umgebung und nehme das „Erwachen“ des Frühlings viel deutlicher wahr, als die Jahre zuvor. Durch die gewonnene Zeit komme ich endlich zu schönen (aber auch lästigen) Dinge, die ich schon immer mal machen oder abarbeiten wollte. Das sorgt für Abwechslung und macht mich glücklich.”