Ministry of Silly Walks – Komfortzonen verlassen

Ich habe mir neue Schuhe gekauft. Sehen cool aus (finde zumindest ich), sie waren nicht so sehr teuer und sind ultrabequem. Passen für den Herbst (weil sie leicht gefüttert sind) und fühlen sich super leicht an.

All das galt zumindest für die Zeit, in der ich mich nicht in den Schuhen bewegte sondern sie nur anhatte. Also eigentlich nur für 2 Minuten, nachdem ich das Paket ausgepackt und die Schuhe anprobiert hatte.

Denn es sind keine normalen Schuhe- es sind Barfußschuhe: Dünne Sohlen vermitteln ein Gehgefühl, als würde man sich barfuß bewegen, noch dazu soll das rückenschonend und gut für das allgemeine Körpergefühl sein. Klingt super, oder? Die ersten Tage, in denen ich diese Schuhe getragen habe und quer durch die Bremer Neustadt ins Büro gelaufen bin, waren die Hölle. Es fühlte sich beim Laufen wirklich unangenehm an. Weniger, weil die Sohlen so dünn sind und man den Untergrund gelegentlich stark spüren kann sondern vielmehr deshalb, weil sich jeder Schritt, den ich machte, wie ein dumpfer Schlag bis in meinen Kopf fortsetzte. Ihr kennt das sicher, wenn ihr auf Socken oder Barfuß mal auf festem Boden gerannt seid. Diese dumpfen Schläge im Kopf. Furchtbar. Mit gedämpften Schuhen nimmt man das nicht wahr und tritt zwar mit der Ferse auf, spürt durch die Dämpfung der Sohlen aber nichts. Der Preis dafür ist ein “ungesunder Gang”. Muss zwar kein Problem sein, kann aber. Als Kind lernt man eigentlich ein anderes Gehen mit einem Auftreten über den Vorderfuß aber verändert seine Laufgewohnheiten ziemlich schnell, wenn man an Schuhe gewöhnt wird. Man lebt mit dieser Polsterung ein Leben lang, es sei denn, man zwingt sich zu einer Veränderung und kauft sich Barfußschuhe.

Da stand ich nun mit meinen neuen Schuhen und ich musste also etwas vollkommen Ungewöhnliches tun: neu Laufen lernen. Gar nicht so leicht mit 39, aber zum Glück gibt es auch dafür ein YouTube-Video. Durch die Stadt zu laufen und bewusst auf jeden Schritt zu achten, ist tatsächlich so komisch, dass ich jedes Mal dachte, die ganze Welt schaut mich an, als wäre ich Teil des Ministry of Silly Walks. Mittlerweile (also nach ca. einer Woche) geht das ganz gut, auch wenn ich immer noch bewusst einen Fuß vor den anderen setze und von unbewusstem Laufen noch keine Rede sein kann. Aber: Es fühlt sich tatsächlich auch einfach so gut an, diese Schuhe zu tragen, noch dazu lerne ich eine “rückenschonende Gangart” und entlaste meine Wirbelsäule viel besser als mit gepolsterten Schuhen. Offensichtlich habe ich gelernt und das macht mir enormen Spaß.

Warum erzähle ich das? Für mich ist das ein schönes Beispiel für das Verlassen der Komfortzone. Die Komfortzone (der schöne, gepolsterte Schuh, der sich schon so schön um den eigenen Fuß legt) ist der Bereich, in dem wir uns auskennen. Wir kennen jeden Winkel, wissen genau, wie fest wir die Bänder ziehen müssen und wie fest wir auftreten können. Manchmal merken wir aber zu spät, dass uns eine andere Gangart besser tun könnte. Die Rückenschmerzen sind schon da, bis du aber darauf kommst, dass es an den vermeintlich komfortablen Schuhen liegen könnte, vergeht viel Zeit. Warum sollte ich sie denn auch wechseln und anders gehen? Ist doch so schön bequem und das bisschen Zwicken im Rücken – was macht das schon? 

Warum behalten wir so gerne unsere bequemen Schuhe an? Sie sind so schön stabil. Sind so schön sicher. Haben uns gestern ja auch noch von A nach B getragen. Wir kennen uns aus. Es ist nicht anstrengend. Man wird nicht “verurteilt”. Man weiß, was die anderen über sie denken. Alles ist so schön vorhersehbar. Es ist angenehm. Aber es passiert auch eben nichts Neues. Es ist langweilig. Wir richten uns ein. Akzeptieren auch die Dinge, die wir doch eigentlich nicht akzeptieren wollen. Sprechen nicht darüber, kehren sie vielleicht sogar unter den Tisch. Das Zwicken im Rücken bleibt, wird vielleicht sogar schlimmer, die Sohlen laufen sich ab und der Schuh leiert mit der Zeit aus. Vielleicht fühlt sich das tief drinnen sogar frustrierend an. Was also tun? 

Die Stretchzone ist Lernen

Ein Schritt in die Stretchzone – die Zone zwischen Komfort und Panik – kann so hilfreich sein. Der Schritt in die Stretchzone ist Lernen. Sei es durch neue Skills. Durch die Arbeit mit anderen Menschen in neuen Konstellationen. Durch eine neue Routine, die man in seinen Alltag einbaut. Durch das Engagement für Dinge, von denen man selbst noch nicht so genau weiß, wohin sie führen. In meinem Fall sorgt das “neue Gehen in anderen Schuhen” für einen wirklichen persönlichen Qualitätsgewinn. 

Wer will schon barfuß laufen.

Natürlich ist die Dosierung wichtig. Ich rede nicht vom Sprung in die Panikzone. Komplett barfuß wollte ich auch nicht durch die Stadt laufen. Komischerweise scheinen wir aber oft über die Stretchzone hinweg zu schauen. Selbst, wenn wir erkennen, dass wir vielleicht eine neue Gangart lernen sollten, schauen wir in die Ferne und sehen uns in Panik barfuß durch die Stadt rennen. Dabei geht es nicht um den großen unbekannten Sprung hinein in Dinge, die uns vielleicht sogar bedrohlich vorkommen. Veränderung liegt oft viel näher. Oft ist es nur ein Schritt. Ein Schritt rein in die Stretchzone kann viel verändern um dich herum und auch in dir selbst. Du kennst auch den Glücksmoment, wenn du etwas gelernt und angewandt hast, das du mit etwas Anstrengung hinbekommen hast. Nein? Denk nochmal gut nach. Im Urlaub in der Landessprache etwas zu essen bestellt haben. Ein Musikinstrument zu lernen. Eine neue Fähigkeit für den Job zu lernen. Abends nach Hause zu gehen und das ätzende Problem der letzten Tage gelöst zu haben. Mit dem Rauchen aufzuhören. Einen Halbmarathon laufen. Auch mit Bauchkribbeln vorne gestanden zu haben, als es notwendig war. Die Steuererklärung abgegeben zu haben. Was immer es für dich ist: du kennst diese Momente und ganz ehrlich, ein wenig glücklich machen sie dich doch, oder? 

Dein Ministry of Silly Walks

Nichts ist von Beginn an perfekt. Im Gegenteil: Wenn es anfängt, sich unangenehm anzufühlen, ist eine gute Chance da, dass Lernen einsetzt. Zumindest lohnt es sich, das zu hinterfragen statt schon im Vorfeld 100 Gründe zu finden, warum du nicht oder besser statt dir jemand anderes die Dinge tun sollte. Der Schritt in die Stretchzone ist dein Ministry of Silly Walks. Hier fühlen sich Dinge komisch an, man läuft wie auf Nadeln und muss eine Strategie finden, “klarzukommen”. Du lernst.

Stell dir regelmäßig drei Fragen:

  • was willst du wirklich?
  • wie sollte es denn eigentlich sein?
  • was hält mich gerade davon ab, es zu ändern?

Diese treiben dich eigentlich schon automatisch in die Stretchzone und bringen dich dem Lernen näher. “Jaja, theoretischer Schnack über Komfortzonen.” Vielleicht. Beobachte an dir selbst, wann du bereit bist, ins Ministry of Silly Walks zu gehen. Und vor allem: Wann du es nicht bist. Und reflektiere, woran das liegt und was dich davon abhält. Vielleicht hebst du irgendwann einmal mehr die Hand, wenn dein Engagement und dein Wissen gefragt ist, Neues zu schaffen. Sei es im Job oder in anderen Teilen deines Lebens. 

(Lächeln)

P.S.: Bevor ich den Blame abbekomme: Ich habe nicht jeden Tag meine Barfußschuhe an 

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