Superlative Reissäcke.

Wir waren gerade in China – eine tolle Reise in ein spannendes Land. Hier gibt es ein Paar Gedanken von mir zu unserem Trip. Viel Spaß beim Lesen! Wer nur Bilder will, wird hier fündig.

Dass die Chinesen eigentlich alles erfunden haben und für sämtlichen Fortschritt der Welt verantwortlich sind, ist zumindest in der chinesischen Meinung und Weltanschauung so fest verankert, dass sie keine Gelegenheit ausnutzen, diese vermeintliche Tatsache ihren rückständigen europäischen Besuchern unter die Nase zu reiben. Manchmal kommt man nicht einmal dazu, Einspruch erhebend den Zeigefinger zu heben und Luft zum Widerspruch zu holen, da kommt schon die nächste Errungenschaft: Das weltgrößte Irgendwas, die höchste Sonstwie und überhaupt alles Superlative befindet sich in China. Und um noch richtig den Finger in die Wunde zu legen, kommt im Folgenden auch immer noch ein: “Und wo gibt es das zweitgrößte Dings?” als rhetorische Frage. Sofort rattert das europäische Gehirn auf der Suche nach dem zweitgrößten Platz, Gebäude, Reisfeld – nur, um dem überbrodelndem Selbstbewusstsein der Chinesen etwas entgegenzusetzen. Die Ernüchterung folgt auf den Punkt. “In China.” Das ist die Antwort der Chinesen – man hat nicht nur das weltgrößte Dings, sondern auch das zweitgrößte. So sind sie.

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Vieles ist aber auch wirklich superlativ. Eigentlich fast alles – zumindest im Vergleich mit europäischen Maßstäben. Sei es die chinesische Mauer, die Terrakotta Armee oder der für eine einzelne Familie etwas zu groß geratene Verbotenen Stadt mitten in Peking. Die Sehenswürdigkeiten zeugen von einer sehr spannenden Kultur – diese steht wegen des unvorstellbaren Wachstums in China aber oft auf einer dünnen Linie zwischen der Welt im 21. Jahrhundert und der traditionellen Lebensweise der Chinesen. An allen Ecken merkt man dies – sei es mitten in Shanghai, wo alte Wohnviertel ohne jede sanitäre Versorgung an teure Glaspaläste grenzen oder in Xian, wo horden von chineischen Besuchern mit Blitzlichtgewitter eine buddhistische Messe begleiten. Während viele der touristisch interessanten Orte liebevoll herausgeputzt und sauber gehalten werden, gibt es an anderen Orten genau dies nicht – viele Schätze sind am Lauf des Yangzi unwiederbringlich vernichtet worden, 1,3 Million Menschen wurden umgesiedelt und die hübschen Dörfer, die man unterhalb des Drei-Schluchten-Damms sieht, mussten weichen für höher gelegene Plattenbauten.

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Und da zeigt sich das Dilemma das Fortschritts: Wir kennen uns in Deutschland auch mit Betonbauten aus. Plattenbauten gibt es nicht nur im Osten – auch in meiner Heimatstadt Wiesbaden gibt es Viertel mit diesen hässlichen Häusern, die man am liebsten direkt sprengen möchte. Nur: In China entstehen nicht einzelne Wohnviertel sondern ganze riesige Stadtteile, die von Betoncharme geprägt sind. Man kann nur staunen, wenn man in Chongqing steht und um einen herum 20 Kräne gerade vollkommen identische 20-stöckige Hochhäuser hochziehen. Hier wohnen Hunderttausende oder Millionen Menschen in Wohnsilos, die bei uns spätestens seit den 80er Jahren als antiquiert, hässlich und nicht nachhaltig gelten. Bleibt zu hoffen, dass die Chinesen nicht den gleichen geschmacklichen Wandel vollziehen wie wir Europäer: Am Ende bliebe ihnen vermutlich nur der Abriss und Neubau ganzer Städte. Das an allen Ecken und Enden sichtbare Wachstum steht in China also auf Beton. Eine Stadt wie Shanghai ist umgeben von einem ganzen Gürtel dieser Häuser.

Bekanntermaßen werden die Innenstädte von Shanghai und Beijing geplättet und deren alte Bausubstanz ersetzt durch moderne Häuser. Lässt man den Kritikpunkt der Menschenvertreibung außer acht, ist dies sogar durchaus zu verstehen: Die alten Wohngebiete verfügen über eine brüchige Substanz, Gemeinschaftstoiletten an den Straßenecken und wenig Perspektive für Besserung. Dass eine Stadt mitten im Zentrum eine andere Entwicklung möchte, kann man durchaus verstehen. Die Chinesen beteuern zwar, dass alle Bewohner einen adäquaten Ersatz in einer der Betonbunker bekommen, aber wenn man kritische Berichte liest, wird immer deutlich, dass sich korrupte Beamte sowohl bei der Umsiedelung der Menschen aus dem Jangzi-Tal als auch bei der Räumung der Butongs in Beijing eine volle Tasche verdienen. Solange dies so ist, ist das Vorgehen der Regierung hinsichtlich der Umsiedlung tausender Menschen im Namen des Fortschritts wirklich schwer zu rechtfertigen. Auf der Strecke bleibt mit dem Abriss auch die alte chinesische Identität – wenn dies so weitergeht, wird China Town in New York in Zukunft mehr chinesisches Flair haben als die Straßenzüge im Herzen der Hauptstadt Chinas.

Und wie geht der Chinese damit um? Das ist schwer zu sagen. Unsere Reiseleiter waren sicherlich treue Parteimitglieder. Dennoch – der Wille nach Fortschritt ist überall zu spüren. Im Fernsehen laufen Werbespots für Kloschüsseln in denen europäisch gekleidete Chinesinnen mit voller Leidenschaft auf dem Boden knien und die Schüssel aus ganzem Herzen umarmen. An jeder Ecke finden sich europäische Konzerne und platzieren Werbung für Autos, in Einkaufszentren gibt es riesige Verkaufsräume für Wohnungen in Shanghai. Alles in allem findet hier gerade ein riesiger Aufschwung statt – das ist überall zu merken. Dennoch sieht man auch, wie dieser entwickelte Teil Chinas regional auf den Osten des Landes beschränkt ist. 30km vor Shanghai sind immernoch die Reisbauern auf ihren Feldern damit beschäftigt, Wasserbüffel die Felder pflügen zu lassen, die Autobahnraststätten haben zwar moderne Toiletten, aber keinen Wasseranschluss und überhaupt wirkt das gesamte chinesische Leben außerhalb der Millionenstädte sehr beschaulich. Kein Wunder: 70% aller Chinesen sind immernoch Bauern.

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Es gibt viele Parallelen zur Nachkriegsentwicklung in Europa. Nur hier scheint es mit dreifacher Geschwindigkeit abzulaufen und unter einem Regime, dass weder Widerstand duldet noch den geringsten Einspruch gegen diese Entwicklung gelten lassen möchte. Der Drei-Schluchten Damm zeigt dies auf beeindruckende Art und Weise: Hier hat sich das Land oder mehr noch deren Herrscher ein Denkmal gesetzt und mit der Bezwingung des Yangzi einen Erfolg errungen, von dem Mao seiner Zeit schon geträumt hatte. Allen Bedenken und Umweltproblemen zum Trotz wurde hier ein Exempel statuiert, um die Größe der Nation für alle Zeiten zu manifestieren.

Wuchtig ist er, der Damm. Schön nicht. Dennoch ist es ein beeindruckendes Meisterwerk der Baukunst und obwohl im Vorfeld des Baus die westliche Kritik groß und die europäischen und amerikanischen Geldgeber nahezu alle abgesprungen waren, wollen viele Westler nun ihr Scheibchen abhaben und Geld an ihm verdienen. Thyssen-Krupp baut gerade ein riesiges Schiffshebewerk am Damm. Sicher ein lukrativer Auftrag. Angeblich erreichen die Turbinen des Damms aber nie ihre volle Last – die Schlammmengen des Yangzi sind zu massig und auch der Strom, der ja bis nach Shanghai fließen soll, ist teurer als der von den Kohlekraftwerken, weshalb die Laune in Shanghai bzgl. des “grünen” Stroms vom Fluss recht gedämpft ist – Shanghai muss extra zahlen. Von den Drei Schluchten ist auch nur noch eine geblieben, die sich unterhalb des Damms befindet. Die beiden anderen sind auch schön, haben von ihrer Dramatik aber sehr viel eingebüßt. Mit dem Damm wurde ja aber eine neue Schlucht geschaffen – vielleicht hätte man ihn den Vier Schluchten Damm nennen sollen.

Für heute soll es genug sein. Hier noch der Link zu einigen Bildern aus China.

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